Verkehrsberuhigung Waldseeviertel, ein Zwischenruf!
Seit Jahren sind die Fronten im Waldseeviertel verhärtet. Es geht um den „gebietsfremden“ Durchgangsverkehr im Zuge der Else- und Schildower Straße, dem mehrere Bürgerinitiativen den Kampf angesagt haben. Einbahnstraßenregelungen, die Anordnung einer Fahrradstraße und als Ultima Ratio das Einbringen von Modalfiltern, wurden als Lösungsansätze vorgeschlagen, immer mit dem Ziel, den Durchgangsverkehr zu reduzieren bzw. auf das Hauptstraßennetz zu verlagern. Jetzt soll ein vom Bezirk beauftragtes Verkehrsgutachten die in den letzten Monaten doch sehr hitzig geführten Diskussionen wieder versachlichen. Dieses Gutachten wurde am 14.1.2021 im Verkehrsausschuss der BVV Reinickendorf vorgestellt.
Kurz zusammengefasst kommt es zu folgenden Aussagen:
- Sowohl in der morgendlichen als auch abendlichen Spitzenstunde ist der durchfahrende KFZ Verkehr im Waldseeviertel, mit einem Anteil von 87 bzw. 77% am Gesamtverkehr, die prägende Verkehrsmenge.
- Der dabei „gewonnene“ Zeitvorteil aufgrund der Gebietsdurchfahrung – im Vergleich zur Umfahrung auf den Hauptverkehrsstraßen – beläuft sich dabei auf zwei bis vier Minuten, jeweils abhängig von der Tageszeit.
- Zusätzliche Einbahnstraßenregelungen im Gebiet selber haben wenig Einfluss auf den vorhandenen Durchgangsverkehr und wurden deshalb vom Gutachter als Lösungsansatz abgelehnt.
- Die von den Bürgerinitiativen angeregten Modalfilter in der Else- und Schildower Straße würden den gebietsfremden Durchgangsverkehr nahezu vollständig auf das vorhandene Hauptstraßennetz Karl-Liebknecht-Straße, Berliner Straße verlagern und somit das Waldseeviertel entlasten.
- Allerding kommt es aufgrund der beschriebenen Verlagerungen im Zuge der Berliner Straße an den Knotenpunkten Veltheimstraße und Hermsdorfer Damm zu Überlastungen und somit wird vom Gutachter aber auch vom Bezirk Reinickendorf der/die Modalfilter als ungeeignete Maßnahmen angesehen.
Und was nun?
Das Gutachten hat nun deutlich gezeigt, was eigentlich alle schon vorher zumindest vermutet hatten nämlich, dass die Umfahrung des Waldseeviertels auf den dafür vorgesehenen Hauptverkehrsstraßen zu Reisezeitverlängerungen führt. Konkret 2- 4 Minuten. Nur zur Einordnung: Die mittlere tägliche Zeit, die ein Berliner/eine Berlinerin im Verkehr verbringt beläuft sich auf ca. 84 Minuten. Natürlich hat ein Modalfilter auch Einfluss auf die Erreichbarkeit eines Gebietes im Ziel-Quell Verkehr. Die Berliner Straße in Reinickendorf ist Teil des übergeordneten Straßennetzes von Berlin und in die Kategorie II „ übergeordnete Straßenverbindung“ eingestuft. Ihr Ziel ist es Haupt- und Mittelzentren in Berlin miteinander zu verbinden. Derzeit ist die Berliner Straße mit ca. 25.000 Kfz/Tag belastet.
Auch an Hauptverkehrsstraßen wohnen und arbeiten Menschen, die ein Anrecht auf Schutz vor Lärm und Abgasen haben. Quartiersentlastung versus Verkehrszunahme auf Hauptverkehrsstraßen, eine wirklich schwer zu lösende Aufgabe. Ob allerdings die im Gutachten unterstellten Verkehrsverlagerungen in der Berliner Straße wirklich zu so gravierenden Überlastungen an den o.g. Knotenpunkte führen, kann und sollte ein Verkehrsversuch zeigen. Immer mehr Kommunen testen “umstrittene“ Verkehrsmaßnahmen, bevor sie in den Regelbetrieb übernommen oder wieder verworfen werden.
Der künftige Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr (StEP MoVe) von Berlin fordert grundsätzlich weniger motorisierten Verkehr, eine Verlagerung des Pendlerverkehrs und ein verbessertes ÖPNV-Angebot gerade für die äußeren Stadtbezirke. Nur so hat eine Verkehrswende zugunsten des Umweltverbundes zumindest mittelfristig eine Chance. Recht hat der Plan, nur ein Plan alleine reicht nicht.
Horst Mentz