Radrundtour der SPD Hermsdorf
Endlich war es soweit. Coronabedingt hatten wir die Fahrradtour immer wieder verschoben. Wir trafen uns am „Tag der Deutschen Einheit“, um die – den alten Westberlinern lange vorenthaltene – Umgebung von Berlin nach über 30 Jahren nochmals zu erkunden. Um 10:30 Uhr ging es für die kleine Gruppe von SPD Genossinnen und Genossen los. Es gab konventionelle und elektrounterstützte Räder. Somit war klar, dass es keinen „Langsamfahrwettbewerb“ nach den Standards des Arbeiterradfahrerbundes „Solidarität“ geben würde.
Das Wetter war anfangs etwas diesig und bewölkt, bei Temperaturen um die 15 Grad Celsius. Auf jeden Fall gab es keinen Regen. Dies war schon einmal sehr gut und angenehm. Später kam stellenweise die Sonne durch. Also optimal für eine Fahrradtour.
Wegstrecke zum Nachfahren: Über die Schulzendorfer Str. fuhren wir durch den Hermsdorfer Wald – vorbei am Forsthaus Tegel – nach Heiligensee. Die Ruppiner Chaussee entlang ging es nach Hennigsdorf. An der Havel und am Nieder Neuendorfer See entlang führte uns der Radweg („Mauerweg“ bzw. „Radweg Berlin-Kopenhagen“) zur Fähre nach Spandau-Hakenfelde. Die Fähre über die Havel brachte uns wieder nach Reinickendorf. Über Tegelort ging es durch den Wald am Tegeler See entlang bis zur Ruppiner Chaussee. Nach einer kleinen Wegstrecke sind wir wieder am Forsthaus vorbei durch den Hermsdorfer Wald nach Hermsdorf gefahren. Aufgrund der guten Planung durch Thomas konnten wir die Strecke ohne Stadtplan und Navi bewältigen.
In Hennigsdorf sind wir zuerst an einer Kirche vorbeigekommen. Im Garten wurde, wie immer am ersten Oktoberwochenende, „Erntedank“ gefeiert.
Thomas hat uns etwas zu Hennigsdorf erklärt und die alten – noch erhaltenen – Fischerkaten sowie das neue Rathaus gezeigt (das Heimatmuseum hatte leider nicht geöffnet und ist wohl auch nicht barrierefrei zu betreten). Auf geht‘s zur Geschichtsstunde:
„Hennigsdorf wurde 1375 erstmals als „Heynekendorp“ urkundlich erwähnt und blieb lange Zeit ein Fischer- und Kossätendorf. (…) Ende des 19. Jahrhunderts entstanden (..) ein Sägewerk und eine Pianofabrik. Für den Einstieg in den Flugzeugbau suchte Anfang des 20. Jahrhunderts die AEG (…) günstiges Bauland (…) und eröffnete 1910 in Hennigsdorf die „AEG, Abteilung Flugzeugbau“. Diese baute 1912 ihr erstes Flugzeug, einen reinen Holzbau nach dem Vorbild des Doppeldeckers der Gebrüder Wright (…). Im Ersten Weltkrieg war das AEG-Werk ein bedeutender Lieferant für die Fliegertruppe des deutschen Heeres. Den Bau von Elektrolokomotiven verlegte die AEG bereits 1913/14 aus dem Werk Brunnenstraße in Berlin nach Hennigsdorf. (…) Während des Zweiten Weltkrieges mussten Zwangsarbeiter in der Rüstungsproduktion der zur Friedrich Flick KG gehörenden Mitteldeutschen Stahl- und Walzwerke sowie den Fabriken der AEG arbeiten.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hennigsdorf; abgerufen: 2021-10-12, 22:35 Uhr).
Zu Hennigsdorf gehört auch der Ortsteil Nieder Neuendorf: „Im Mittelalter gewann der Ort Bedeutung durch den Fährverkehr nach Heiligensee. Das Gut Nieder Neuendorf wurde 1885 von dem Verleger Emil Cohn erworben, der nach und nach weitere Grundstücke ringsum aufkaufte. Dessen Kinder verkauften das Gut und einen Teil der Grundstücke ab 1909 an die AEG, die wenig später hier und im angrenzenden Hennigsdorf einen ihrer größten Produktionsstandorte errichtete. Westlich von Nieder Neuendorf entstand 1912 ein AEG-Werkflugplatz. (…) Mit dem Bau des Havelkanals wurde 1951 unter dem Namen „Paretz-Niederneuendorfer Kanal“ begonnen, um den Schiffsverkehr um West-Berlin herumführen zu können.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Nieder_Neuendorf; abgerufen: 2021-10-12, 22:45 Uhr).
„Aus der Zeit der Teilung Deutschlands und der Abriegelung West-Berlins durch die DDR zwischen 1961 und 1989 ist ein Grenzturm erhalten (…). Im südlich gelegenen Waldstück Papenberge (…) liegen zwei ehemalige Exklaven West-Berlins, Fichtewiese und Erlengrund. Diese wurden zu DDR-Zeiten von West-Berliner Bürgern als Gartenkolonie genutzt. Die Exklave Erlengrund ließ sich nur per Boot aus dem gegenüberliegenden Berliner Stadtteil Konradshöhe erreichen, die Exklave Fichtewiese bis zu einem Gebietsaustausch am 1. Juli 1988 nur durch ein Tor im Grenzzaun.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Nieder_Neuendorf; abgerufen: 2021-10-12, 22:50 Uhr) Den Wachturm haben wir nicht besichtigt, da es coronabedingt eine lange Warteschlange gab.
„Bekannt wurde Hennigsdorf (…) durch den Marsch von 5000 Arbeitern der Industriebetriebe zu den Demonstrationen beim Aufstand des 17. Juni 1953 gegen die Normerhöhungen der DDR-Regierung.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hennigsdorf; abgerufen: 2021-10-13, 15:20 Uhr). Man zog durch West-Berlin (Heiligensee, Tegel, Borsigwalde, Reinickendorf und Wedding nach Mitte (Ost-Berlin). Darüber gibt es ein Buch von Stefan Heym; nach längerem Nachdenken kam der Titel:
„5 Tage im Juni“ – darauf Hinweis einer Genossin: „Das Buch haben wir“ – aber noch nicht gelesen!
Wie hat sich die SPD-Reinickendorf verhalten? Ich vermute, die Reinickendorfer SPD-Führung der damaligen Zeit war links aber antikommunistisch.
Wie sieht es in Hennigsdorf jetzt nach über 30 Jahren BRD aus?
„Der zu DDR-Zeiten mit über 8.500 Beschäftigten wichtigste Industriebetrieb der Stadt war das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf (…). Heute ist davon nur noch ein mittelständisches Unternehmen übrig, das seit 1992 die Bezeichnung H.E.S. Hennigsdorfer Elektrostahlwerke GmbH trägt und zum Riva-Konzern gehört. Seit 1913 werden (…) Lokomotiven gebaut. Die Produktionsstätten gehörten (…) zu DDR-Zeiten dem VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ Hennigsdorf (LEW). Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden sie 1991 zunächst wieder von der AEG übernommen und kamen 1996 zusammen mit dem gesamten Transportsektor der AEG zu Adtranz. Seit 1. Mai 2001 betreibt Bombardier Transportation (inzwischen Alstom) das Werk in Hennigsdorf. (…) Mit der Gründung des Biotechnologie-Zentrums im Jahre 2000 wurde in Hennigsdorf einer der Biotechnologie–Cluster in Berlin/Brandenburg etabliert. Zahlreiche neu gegründete Biotechunternehmen siedelten sich an diesem Standort an, unter anderem die B.R.A.H.M.S Aktiengesellschaft als inzwischen größtes Biotechunternehmen der Region.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hennigsdorf; abgerufen: 2021-10-13, 15:20 Uhr) Ferner gibt es ein Briefzentrum der Post AG. Als wir am Gelände von Bombardier-Alstom vorbeiradelten, standen fertige ÖBB-Züge herum, die scheinbar nicht abgenommen wurden. Was mit dem Werk in Hennigsdorf passiert, ist auch nicht so sonderlich klar? Es soll an einen Mitbewerber (Siemens?) verkauft werden, um im Rahmen der Fusion den EU-Kartellvorgaben gerecht zu werden.
Am Wegesrand standen eine Reihe von Stelen. Es wurden dort die Geschichten von meist jungen Leuten erzählt, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. U. a. über einen polnischen Schiffer, der die Gegend kannte. Sich irgendwann über die polnische Grenze und durch die DDR bis nach Hennigsdorf durchgeschlagen hat und dann bei der Flucht aus ungeklärten Gründen ums Leben gekommen ist. Die Grenzanlagen waren doch sehr unübersichtlich angeordnet. Die Grenze verlief auf der Mitte des Nieder Neuendorfer Sees.
Beim Ausflugslokal an der Bürgerablage war aufgrund des Einheitstages Remmidemmi – Liveband mit Tanz. Wir haben dann stattdessen im italienischen Restaurant „Himmel und Havel“ an der Fähre Rast gemacht und uns für die Restfahrt gestärkt. – Nach kurzer Überfahrt mit der Autofähre ging es zügig zurück nach Hermsdorf. Rückankunft: Ca. 14:45 Uhr.
Die leicht zu meisternde sowie politisch und geschichtlich informative Fahrradtour hat Lust auf mehr gemacht – Dank an die Chefplanerinnen und -planer.
Reiner H. Knecht