Bauhaus Denkmal Bundesschule Bernau – Eine spannende Entdeckung

Von der Planung über den Bau bis zur Möblierung ein Projekt des Dessauer Bauhaus: Die Bundesschule des ADGB in Bernau ist ein einzigartiges Ensemble aus Seminarräumen, Sportanlagen und großzügigen Unterkünften für Lehrkräfte und Lehrgangsteilnehmende, das wir bei einer Exkursion am 21. Mai 2022 erkundet haben. Unser Bildungsbeauftragter Reiner H. Knecht hat sich intensiv mit der Geschichte dieses Orts auseinandergesetzt.

Die Bedeutung der Bernauer Bundesschule für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (AGB)

„Mitte der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts reifte im ADGB (… gegründet 1919) die Idee, eine Gewerkschaftliche Bundesschule einzurichten und zu erbauen. Im Vergleich zur Kriegs- und zur unmittelbaren Nachkriegszeit hatte sich das materielle Lebensniveau der Werktätigen im Ergebnis der Kämpfe der Arbeiter verbessert. Die Werktätigen erkämpften vor allem tariflich vereinbarte Lohnerhöhungen und den Ausbau der Sozialgesetzgebung. 1927 wurde das ‚Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung‘ im Reichstag angenommen. Damit wuchs der Einfluss der Gewerkschaften und neue Anforderungen an sie kamen hinzu. Die sozial- und kulturpolitischen Aktivitäten des ADGB wurden verstärkt. Der ADGB rief die deutsche Wohnungsfürsorge-Gesellschaft für Arbeiter, Angestellte und Beamte ins Leben, gründete die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten (…). Zu den von den Gewerkschaften getragenen Einrichtungen zählten u. a. auch die Büchergilde Gutenberg und eine Reihe sogenannter ‚gemeinwirtschaftlicher‘ Unternehmen und Genossenschaften.

(…) Sozialpolitische Erfolge der Gewerkschaften führten zu einem Anwachsen der Mitgliederzahl des ADGB 1928 auf fast fünf Millionen. Die ADGB-Führung orientierte auf eine gewerkschaftliche stärkere Einflussnahme auf die Wirtschaft, auf Mitbestimmung und Demokratisierung, um so zur Umwandlung des Wirtschaftssystems beitragen zu können und dem Zukunftsziel Sozialismus näher zu kommen. Das alles stellte höhere Anforderungen an die gewerkschaftlichen Führungskräfte und Mitglieder. Fragen der gewerkschaftlichen Schulung rückten in den Mittelpunkt. (…)

Am 4. Mai 1930 wurde die Bundesschule des ADGB feierlich eröffnet. An der Festveranstaltung nahmen Vorstandsmitglieder der Gewerkschaften und zahlreiche Ehrengäste (Internationaler Gewerkschaftsbund, AfA-Bund [Angestelltenorganisation], Reichsregierung, Preußische Regierung, SPD – Zusatz R. H. K.) teil“ (Alfred Förster, Zur Geschichte der gewerkschaftlichen Bildungseinrichtung in Bernau b. Berlin 1928-1990; Berlin 2005, S. 5ff.).

„Den Festvortrag (zur Eröffnung – Zusatz R. H. K.) hielt der stellvertretende ADGB-Vorsitzende Peter Graßmann“ (Alfred Förster, Zur Geschichte der gewerkschaftlichen Bildungseinrichtung in Bernau b. Berlin 1928-1990; Berlin 2005, S. 8). Der Vorsitzende, Theodor Leipart, nahm krankheitsbedingt nicht teil. „Anwesend waren auch die ersten Kursteilnehmer, Kollegen des Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs sowie des Deutschen Textilarbeiterverbandes“ (ebenda, S. 8f).

„Im Mittelpunkt der Ausbildung standen volks- und betriebswirtschaftliche Fragen, Probleme der Sozialpolitik, vor allem des Tarif- und Schlichtungswesens, aber ebenso der Sozialversicherung und des Arbeitsschutzes; Fragen des Arbeitsrechts und immer auch eine mehrstündige Einführung in die Geschichte des Verbandes, dargeboten vom jeweiligen Verbandsvorsitzenden. Der Unterricht war (…) auf die unmittelbaren Bedürfnisse täglicher Gewerkschaftsarbeit ausgerichtet. (…) (Es gab) Einführungskurse von zwei und vier Wochen Dauer, Fortgeschrittenenkurse und Fachkurse“ (ebenda, S. 10). Ferner gab es internationale Lehrgänge im Rahmen des IGB. Von 1930 – 1933 nahmen ca. 5000 Gewerkschafter an Lehrgängen teil (vgl. ebenda, S. 10).

Zu einer so bedeutenden Bildungseinrichtung gehört auch eine gut ausgestattete Bibliothek, die der Zuhörerschaft aus der Arbeiterklasse in jeder Hinsicht angemessen war. Die Preußische Unterrichtsverwaltung unter Adolf Grimme hat für diese Bibliothek 10.000 Reichsmark zur Verfügung gestellt. Den Aufbau dieser Fachbibliothek hat man der Genossin Dr. Helene Nathan übertragen. Sie war als Leiterin der Neuköllner Volksbücherei bestens dazu geeignet. Diese wertvolle Bibliothek ist später von den Nazis aufgelöst worden, die teilweise bedeutenden Bücher sind weitgehend verschwunden (vgl. Heinz Deutschland, Die Bibliothek der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes [ADGB] in Bernau [1930-1933], in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft II/2003, S. 91).

Die Bundesschule hat ihre Arbeit in einer wirtschaftlich und politisch schwierigen Zeit aufgenommen. In Deutschland tobte sich die Weltwirtschaftskrise von 1929 richtig aus. Die Arbeitslosigkeit lag bei über 6 Millionen Erwerbslosen im Februar 1932 (ca. 16,3 % der Gesamtbevölkerung, bei ca. 12 Millionen Beschäftigten), die Arbeitslosenquote wird mit 30,8 % angegeben (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Weltwirtschaftskrise, abgerufen: 2022-06-02, 23:35 Uhr). Die nationalsozialistische Bewegung und andere rechtsgerichtete Parteien wurden im Prinzip von Wahl zu Wahl stärker. Auch die weit links stehenden Parteien wurden bedeutungsvoller. Im Juli 1932 wurde die sozialdemokratisch geführte Regierung im Freistaat Preußen vom Reichskanzler von Papen durch eine Notverordnung von Reichspräsident Hindenburg entmachtet (sog. Preußenschlag).

Diese politischen Veränderungen hatten auch Auswirkungen auf die freien Gewerkschaften. Die ADGB Spitze stand vor dem Problem, wie soll man sich als Gewerkschaft zur allgemeinen Politik verhalten. Wie kann man die Organisation, Mitglieder, Funktionäre und Mitarbeiter der mittlerweile großen Gewerkschaftsbewegung vor Übergriffen schützen?

Unter dem ADGB-Vorsitzenden Theodor Leipart (SPD) haben sich eine Reihe von leitenden Mitarbeitern unter intellektueller Führung von Lothar Erdmann (leitender Redakteur des gewerkschaftlichen Theorieorgans „Die Arbeit“) Gedanken gemacht, ob die alleinige Orientierung auf die Partei, und dabei meinte man die marxistisch und internationalistisch ausgerichtete SPD, für die arbeitende Bevölkerung und für die Gewerkschaften in Deutschland zielführend ist.

Bei Wikipedia kann man dazu folgendes Lesen (aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Erdmann; abgerufen, 2022-06-03, 01:00 Uhr. Die Zitate beziehen sich auf: Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Bonn 1990; S. 895+894f).

„In der letzten Ausgabe seines Blattes vom 29. April 1933 erschien Erdmanns Beitrag Nation, Gewerkschaften und Sozialismus, der wie Heinrich August Winkler annimmt, im Kern mit Leipart abgesprochen war.[6] In diesem Beitrag distanzierte sich Erdmann in bislang unbekannter Schärfe von der SPD und betonte die Wesensverschiedenheit mit den Gewerkschaften. Danach sei der Marxismus der Gewerkschaften nie ein Glauben an eine alleinseligmachende Theorie gewesen. „Wir sind Sozialisten, weil wir Deutsche sind. Und eben deshalb ist für uns das Ziel nicht der Sozialismus, sondern das sozialistische Deutschland. (…) Der deutsche Sozialismus wächst aus der deutschen Geschichte hinein in den künftigen Lebensraum des deutschen Volkes. Das sozialistische Deutschland wird niemals Wirklichkeit werden ohne die Nationalisierung der sozialistischen Bewegung.“[7]

Erdmann hat seine völkische Position nicht geholfen. Er wurde unter den Nazis als führender Gewerkschaftsmitarbeiter arbeitslos. Später kam er ins KZ Sachsenhausen und ist infolge von Misshandlungen gestorben.

Zu diesem Mitarbeiterkreis gehörte auch der Leiter der Bundesschule in Bernau Dr. Hermann Seelbach. Er hat eine besonders unrühmliche Rolle gespielt. Er war wie viele Gewerkschafter SPD Mitglied. Er hat in Form eines Tagebuches seine Hinwendung zur nationalen Bewegung unter dem Titel „Das Ende der Gewerkschaften“ (von Hermann Seelbach, Berlin 1934) beschrieben und später veröffentlicht.

Seine opportunistische Position hat er in einem Brief an den Vorsitzenden der SPD Bernau formuliert: „Die politische Entwicklung stellt die Arbeiterschaft vor die Entscheidung, sich zur nationalen Bewegung offen zu bekennen und ihre Ziele tatkräftig zu unterstützen oder auf jede wirksame öffentliche Betätigung zu verzichten. Das demokratische System der Nachkriegszeit ist nicht nur infolge der starken Kräfte der nationalen Revolution, sondern auch wegen der eigenen inneren Schwäche unglaublich widerstandslos zusammengebrochen. Ich halte deshalb die weitere Tätigkeit der SPD für hoffnungslos. […] Eine erfolgreiche Vertretung der sozialen und sozialistischen Ziele der Arbeiterschaft wird nur im Rahmen der nationalistischen Bewegung möglich sein. Ich erkläre daher meinen Austritt aus der SPD und teile gleichzeitig mit, dass ich der NSDAP beigetreten bin. Ich spreche die Hoffnung aus, dass wir uns in einer großen nationalen Arbeiterorganisation wiederfinden und wertvolle Kulturarbeit an der Arbeiterschaft (Hervorhebung R. H. K.) weiterentwickeln können“ (ebenda, S. 33). Hier wird deutlich, dass es nach seiner Auffassung nicht mehr um die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen geht, sondern um „völkische Kulturarbeit“.

Aus diesem Zitat wird aber auch deutlich, dass die Führung des ADGB unter Leipart Anfang 1933 theoretisch und organisatorisch nicht mehr in der Lage war – im Unterschied zu 1920 (Kapp-Putsch) – in Form eines Generalstreiks die Machtübergabe an die Nazis zu verhindern.

Am 2. Mai 1933 haben die Nazis die Gewerkschaftsführer verhaftet. Gleichzeitig wurde die Bundesschule des ADGB von Dr. Seelbach an die NSBO (NS Betriebsorganisation) übergeben. Übrigens, am 1. Mai hat man noch gemeinsam den „Tag der Arbeit“ gefeiert.

Reiner H. Knecht (Dipl. Volkswirt)

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