„Die Rolle des Staates kommt zu kurz“
Die Ökonomin plädiert für eine stärkere Rolle der öffentlichen Hand in der Forschung und greift den Kult um Apple-Gründer Steve Jobs an. Interview Von Björn Finke
Ihr Buch halten Kapitalismuskritiker für ähnlich wichtig wie „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty: Mariana Mazzucato greift in ihrem Werk „Das Kapital des Staates“ die Vorstellung an, die Menschheit verdanke technischen Fortschritt vor allem einigen genialen Köpfen in Unternehmen wie etwa Steve Jobs.
SZ: Frau Professor Mazzucato, was haben Sie gegen Apple-Gründer Steve Jobs?
Mariana Mazzucato: Nichts. Ich frage mich nur, wieso in einer dicken Biografie über ihn nicht mit einem Wort erwähnt wird, dass die Entwicklung der ganzen Technologien, die Apple für seine schicken Geräte verwendet, von der Regierung finanziert wurde. Apples Forschungsausgaben sind im Vergleich zum Umsatz niedrig. Meine Aussage ist nicht: Steve Jobs war ein Idiot. Meine Aussage ist: Er nutzte sein Genie und Designverständnis, um aus vorhandenen, vom Staat finanzierten Technologien Produkte zu machen.
Ist das schlimm?
Es fehlt die Balance in der öffentlichen Debatte über Apple und andere Firmen und die Gründe ihres Erfolgs. Die Rolle des Staates und der von ihm direkt finanzierten Innovationen kommt zu kurz. Und deswegen gibt es in der Öffentlichkeit nicht genug Unterstützung dafür, dass der Staat weiter mit ausreichend hohen Investments den Fortschritt vorantreibt. Das macht den Apples der Zukunft das Leben schwer; Firmen können sich dann nicht mehr bei so vielen Forschungsergebnissen bedienen.
Welche wichtigen Technologien hat denn die US-Regierung finanziert?
Mit Blick auf die Dinge, die in einem iPhone stecken, etwa das Navigationssystem GPS, die Technik hinter berührungsempfindlichen Bildschirmen, Spracherkennungs-Software, das Internet. Daneben wurden mit Steuergeld aber auch die Grundlagen gelegt für die Bio- und Nanotechnologie oder für das Fracking-Verfahren. Das alles hat der Staat nicht indirekt gefördert, mit Steuererleichterungen oder so, sondern direkt finanziert. Und es waren staatliche Behörden, die die Themen und die Richtung der Forschung auswählten.
Sie sehen offenbar die USA als Vorbild in der Forschungspolitik . . .
Amerika hatte lange ein erfolgreiches System. Doch nun steckt es in der Krise, weil die Bedeutung des Staates nicht ausreichend gewürdigt wird. Stattdessen konnten Risikokapital-Gesellschaften die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass sie es angeblich seien, die mit ihrem Geld für Innovationen sorgen. So setzten sie durch, dass ihre Steuern stark sinken. Der Staat hat dann weniger Geld zur Verfügung.
Aber Investoren, die in junge Unternehmen Kapital stecken, sind doch wichtig?
Risikokapital-Geber spielen in Wirklichkeit bei den frühen Entwicklungsphasen von Innovationen keine große Rolle. Hier ist Staatsgeld gefragt. Die Gemeinschaft trägt also nun die frühen Risiken, und die Gewinne gehen später an die Investoren.
Immerhin zahlen Firmen wie Apple, die mit vom Staat finanzierten Innovationen Erfolg haben, einiges an Steuern . . .
Die Steuersätze für Unternehmen sind gefallen. Und viele nutzen Schlupflöcher.
Ist der Staat also der bessere Erfinder?
Ich sage nicht: Der Staat ist gut, die Wirtschaft schlecht. Nur wenige Staaten auf der Welt haben ein System geschaffen, das viele große Innovationen hervorbringt. Die meisten Länder versagen hier. Es geht darum, von den wenigen Erfolgen zu lernen.
Was kann man lernen?
Geduldiges Kapital ist wichtig; Förderbanken oder Behörden müssen Forschern und Firmen langfristig Geld für die Entwicklung von Innovationen zur Verfügung stellen. Außerdem muss die Regierung eine Vision haben, eine klare Mission für ihre Innovationspolitik formulieren. Zur Person
Mariana Mazzucato, 46, hat den Großteil ihres Lebens in den USA verbracht. 1972 zogen ihre Eltern in die Staaten, wo der Vater, ein Naturwissenschaftler, im Institut für Plasmaphysik der Princeton University arbeitete. Sie studierte Geschichte und Wirtschaft und lehrte von 1997 an der Universität von Denver. Im Jahr 2000 zog sie nach Europa. Sie ist nun Wirtschaftsprofessorin der Universität von Sussex in Südengland. Meistens, so argumentiert sie, war es der Staat, der mit seiner Forschung die Grundlagen für Durchbrüche legte. Und nicht Firmen oder mutige Investoren. Dass die Rolle des Staates nicht gewürdigt werde, habe schlimme Folgen.
Zum Beispiel?
Die US-Regierung gab einst das Ziel aus, einen Mann zum Mond zu schicken. Eine solche Mission heute könnte die ökologische Wende sein. So etwas berührt ganz unterschiedliche Branchen, es geht also nicht darum, einen Industriezweig als besonders innovativ und förderwürdig herauszupicken. Eine klare Vision, Politik aus einem Guss schafft Vertrauen bei Managern und Investoren. Außerdem müssen in den Behörden und Instituten die besten Leute sitzen. In den USA war mit Steven Chu ein Physik-Nobelpreisträger Energieminister.
Wie steht im Gegensatz dazu Europa da?
Es ist eine Tragödie: In der Debatte, was in den Krisenländern schiefläuft, geht es nur um die Größe des Staatssektors. Aber diese Länder haben nicht zu viel Staat, sie haben den falschen Staat. Italien bekommt erzählt, das Land müsse sparen, sparen, sparen, um wie Deutschland zu werden. Doch das funktioniert nicht. Tatsächlich müsste Italien massiv investieren, um so etwas wie die deutsche Förderbank KfW und Forschungseinrichtungen aufzubauen. Um Top-Leute anzuziehen. Wir brauchen Wissenschaftler in den Regierungen, die sich auch mal die Hände schmutzig machen.
Ihr Buch heißt im englischen Original übersetzt „Der unternehmerische Staat“. Wieso lautet der Titel der deutschen Ausgabe „Das Kapital des Staates“?
Der deutsche Verleger sagte, der Begriff „unternehmerisch“ würde die linke Klientel abschrecken. Aber ich finde, „Das Kapital des Staates“ klingt schön.