Sozialdemokratische Migrationspolitik
Gemeinsame Versammlung der Abteilungen Hermsdorf und Lübars-Waidmannslust-Wittenau am 5. Oktober 2023
Migrationspolitik ist zum politischen Schwerpunktthema geworden – entsprechend groß war das Interesse in beiden Abteilungen. Christian Oestmann, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen und beruflich als Abteilungsleiter für Staats- und Verwaltungsrecht in der Innenverwaltung tätig, skizzierte die aktuelle Situation und zeigte die Herausforderungen auf, die sich daraus ergeben. Die Zahlen sind eindrucksvoll: In Berlin haben rund 80.000 – 100.000 Menschen aus der Ukraine Zuflucht gefunden; derzeit kommen täglich etwa 300 Menschen dazu. Extrem gestiegen ist die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern: Bis Ende August waren es in Berlin in diesem Jahr bereits 16.500 – das sind mehr als im gesamten Vorjahr und deutlich höhere Zahlen als in der „Flüchtlingskrise“ 2015. Das führt zu großen Unterbringungsproblemen. Die Menschen verbleiben monatelang im ehemaligen Flughafen Tegel, die Kapazitäten dort werden aufgestockt. Durch Tegel und das Ankunftszentrum auf dem Gelände der früheren Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik ist auch Reinickendorf sehr beansprucht, besonders bei den Schulen und der Gesundheitsversorgung. Klar ist aber auch, dass die Unterbringung in solchen Massenunterkünften für die Integration der Geflüchteten sehr ungünstig ist.
Eine gerechte Verteilung der Geflüchteten in den Ländern der EU ist nur schwer zu erreichen; eine Vorprüfung von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen wird wohl kommen, ist jedoch mit großer Vorsicht zu sehen: Denn an den Grundlagen des Asylrechts wollen wir festhalten, ähnlich wie beim Asylkompromiss von 2016. Viele Menschen kommen aus wirtschaftlichen Gründen zu uns, zum Beispiel aus Moldau: Hier gilt es, die Liste der sicheren Drittstaaten zu erweitern. Allerdings gehen die Menschen meist nicht freiwillig zurück, obwohl sie ausreisepflichtig sind. Die politische Debatte wird durch die AfD und leider auch die Union sehr zugespitzt und verengt; eine klare sozialdemokratische Antwort fehlt, wir haben uns vor der Debatte zu lange weggeduckt.
In der sehr intensiven und nachdenklichen Diskussion war klar: Flucht und Migration stehen ganz oben auf der politischen Agenda – auch wenn sie andere, vielleicht wichtigere Herausforderungen wie den Klimaschutz zu verdrängen drohen. Flucht und Migration sind nicht dasselbe, aber es ist wichtig, beides zusammen in den Blick zu nehmen. Denn wir brauchen und wollen Zuwanderung in unser Land – das darf durch die Debatte um „irreguläre Migration“ nicht aus dem Blick geraten. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Bundesregierung einen ersten Schritt getan, damit ausländische Fachkräfte schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können. Die Menschen, die in unser Land kommen, eine Ausbildung machen und sich integrieren, brauchen eine sichere Perspektive (und dürfen nicht, wie es immer noch geschieht, aufgrund bürokratischer Regeln gegen Protest besonders auch aus der Wirtschaft wieder abgeschoben werden). Aus Geflüchteten werden Migranten – dieser „Spurwechsel“ soll durch eine schnellere Arbeitserlaubnis erleichtert werden. Ganz wichtig ist auch eine bessere Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern auf Augenhöhe, die nicht ausschließlich die deutschen Wirtschaftsinteressen im Blick hat. Auch hier können wir eine gute Bilanz vorweisen.
Die Alarmmeldungen aus den Kommunen und die Meinungsumfragen sprechen eine klare Sprache, die wir politisch ernst nehmen müssen: Der gegenwärtige Zustrom von Geflüchteten überfordert unsere Gesellschaft, wir brauchen eine Begrenzung des Zuzugs durch klare Regeln. Das Asylrecht, das aus guten Gründen als Reaktion auf den Nationalsozialismus eingeführt wurde, werden wir aber nicht aufgeben – dann müssen wir aber auch ehrlich und deutlich sagen, dass die Menschen, die zu uns kommen, in diesem Land bleiben, und dass wir mit ihnen umgehen müssen. Vieles ist schon erreicht und verbessert worden: Das müssen wir herausstellen und besser kommunizieren, und dürfen es nicht zerreden lassen. Bei allen Problemen und Herausforderungen gilt es ein positives Bild zu zeichnen und festzuhalten: Wir brauchen Zuwanderung für die Zukunft unseres Landes.
Thomas Koch