Zukunftsprozess Berlin 2035
Auftaktveranstaltung am 27. September 2024 im Willy-Brandt-Haus
Das Atrium des Willy-Brandt-Haus gut gefüllt, zusätzlich noch ein Livestream, die stellvertretende Landesvorsitzende Sinem Tașan-Funke und der Beauftragte für Berlin 2025, Thomas Letz in der Moderation, die beiden Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel als sehr präsente, aber nicht dominante Gesprächspartner: Der Start für den Zukunftsprozess war gut geplant – und ist gelungen.
Der Zukunftsprozess Berlin 2035 will die langen Linien in der SPD-Politik deutlicher sichtbar machen: Mit einer Mitgliederbefragung, mit Zukunftswerkstätten und Foren in den Bezirken soll im Dialog mit der Stadtgesellschaft eine Antwort auf die Frage gefunden werden: Wo wollen wir in Zehen Jahren mit unserer Stadt hin? Das Ziel ist, konkrete Schritte zur Umsetzung dieser Zukunftsvision zu beschreiben, die eigenen Mitglieder stärker zu aktivieren und die Partei besser in der Stadt zu verankern. Und ja, wir wollen Wahlen wieder gewinnen und das Rote Rathaus zurück erobern.
Den wichtigsten Impuls des Abends gab Prof. Marcel Fratscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, in seiner Keynote: Die entscheidenden Transformationen stehen jetzt an, in den kommenden zehn Jahren – wirtschaftlich, technologisch und nicht zuletzt auch sozial. Sozialdemokratische Zukunftspolitik sieht Veränderung als Chance, ist optimistisch – aber nimmt die realen Ängste der Menschen ernst und besteht darauf, dass die mit den Veränderungen verbundenen Härten ausgeglichen werden. Damit Berlin sein Zukunftspotenzial nutzen kann, müssen wir die anstehenden Transformationen beschleunigen, trotz aller Risiken und Härten. Denn Transformationsprozesse können schmerzhaft sein, sind mit Krisen in erfolgsgewohnten Unternehmen und auch mit dem Verlust angestammter Arbeitszweige verbunden – das zeigt aktuell das Beispiel Volkswagen. Die Menschen haben reale Sorgen und Ängste vor der Zukunft: Arbeit, Vorsorge, Wohnen. Das muss unbedingt ernst genommen werden. Aber es gibt keinen Weg zurück in die goldenen 2010er Jahre, sondern nur vorwärts in die Zukunft.
Und für diesen Weg ist Berlin sehr gut aufgestellt. Entscheidend sind Technologie, Talente, Toleranz. Berlin hat seit Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten aufzuweisen, wir haben viele innovative Unternehmen in der Stadt. Im Vergleich mit anderen europäischen Großstädten ist Berlin besonders attraktiv für gut ausgebildete, talentierte junge Menschen, nicht zuletzt wegen unserer gelebten kulturellen Vielfalt. Berlin ist attraktiv, aber wir müssen unsere Stärken besser nutzen. Eine Stadt wie Berlin muss unbedingt mehr in ihre Zukunft investieren!
Im Podiumsgespräch, moderiert von Nicola und Sinem, wurde dieser Impuls vertieft – Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, war erkrankt und konnten seinen vorgesehenen Impuls nicht vortragen. Stephan Schwarz, ehemaliger Wirtschaftssenator und Unternehmer, sieht unsere Stadt im Wettbewerb um junge Talente. Das überdurchschnittliche Wirtschaftswachstum wird jedoch anhalten, es droht kein wirtschaftliches Katastrophenszenario, besonders nicht in Berlin. Für Katja Karger, Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg müssen die Beschäftigte im Zentrum der Transformationsprozesse stehen, es braucht gute Arbeit für alle. Reale, lähmende Probleme, wie die Überlastung im Pflegebereich, schaffen eine schwierige Ausgangslage. Beschäftigte müssen Zukunft mitgestalten können. Die Wirtschaftsdemokratie muss gestärkt werden: Unternehmen stehen nicht außerhalb der Gesellschaft! Die Menschen brauchen Sicherheit im Wandel: Wir kriegen das gemeinsam hin! Es muss schnell Klarheit über die Zukunft der Arbeit geschaffen werden. Technologische Entwicklung ist kein Selbstzweck: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Michael Fugel, Geschäftsführer der infraVelo, sieht heftige Wachstumsschmerzen bei der Berliner Infrastruktur – denn zehn Jahre sind eine sehr kurze Zeit für den Bau, die Wartung und die Weiterentwicklung von Verkehrswegen. Wichtig ist, Brandenburg in die Planungen einzubeziehen. Christian Ceconi, theologischer Vorstand der Berliner Stadtmission, sieht in der sozialen Vielfalt eine Stärke unserer Stadt, die aber gerade sehr unter Druck steht. Freie Träger müssen Probleme wie Obdachlosigkeit und Wohnungsnot lösen, gleichzeitig ist die Sozialwirtschaft durch Kürzungen bedroht. Wichtig gegenüber populistischen Strömungen: Wir bestimmen das Narrativ! Wir haben tolle Systeme! Wertschätzung! Und dann: Sozialräumlich konkrete Probleme lösen!
Passend dazu das Schlusswort von Martin Hickel: Hoffnung und Zukunftsoptimismus unterscheiden uns von Populisten und Kanzlerkandidaten, die gegen Zukunftsinvestitionen an der Schuldenbremse festhalten!
Thomas Koch